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Gegen das Vergessen

20.09.2021

Gegen das Vergessen


 


Die Zeit von 1933 bis 1945 wurde in der Geschichte der DGVS, wie in fast allen Berufsverbänden und Ärztekammern, lange verdrängt. Erst Prof. Werner Creuzfeld erinnerte während seiner Eröffnungsrede zur 32. Jahrestagung der DGVS 1977 ausführlich an Siegfried Thannhäuser und Ismar Boas, den jüdischen Wegbereitern der deutschen Gastroenterologie. Bis dahin wurde die Vertreibungsgeschichte der jüdischen Mitglieder in der deutschen Gastroenterologie in Folge der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 lange verschwiegen. (1)


 


Etwa ein Viertel der Mitglieder der DGVS und 4 von 6 Vorstandsmitgliedern der DGVS galten 1933 nach der Terminologie der NS-Machthaber als „nicht arisch“. Sie alle besuchten Kongresse, arbeiteten zusammen als niedergelassene oder in der Klinik tätige Ärztinnen und Ärzte und hatten wesentlich zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung des noch jungen Faches Gastroenterologie beigetragen. (2,3)


 


Die DGVS hat in der Festschrift und Chronik 2013 (1) und in ihrer Übersicht über die Präsidenten der Fachgesellschaft 1914 bis 2014 (2) ausführlich zu diesem Kapitel deutscher Geschichte Stellung bezogen.


 


„Mit der Webseite www.dgvs-gegen-das-vergessen.de hat die DGVS erstmals nun einen virtuellen Erinnerungsort geschaffen, an dem die Lebenswege und vielfältigen Beiträge ihrer seit 1933 ausgeschlossenen jüdischen Mitglieder gewürdigt werden…


 


…„Von nun an war die Kollegialität an die Rasse gebunden“, so drückte es der für 1933 designierte Tagungspräsident Hermann Strauß aus, der selbst 1942 aus Berlin in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurde (und dort im Oktober 1944 verstarb). Der Mehrheit der jüdischen Mitglieder unserer Fachgesellschaft gelang bis 1940 die Flucht aus Deutschland. Sie konnten oftmals nur mit größter Mühe im Ausland ein neues Leben beginnen und ihre ärztliche Karriere fortführen. Manche hatten diese Möglichkeit nicht mehr.



Biographische Skizzen geben den heute teilweise Vergessenen ihren Namen wieder und erinnern mit zahlreichen, erstmalig publizierten Dokumenten an jene Menschen, die bis zum Frühjahr 1933 geachtete Mitglieder unserer Fachgesellschaft waren.


 


Wir möchten Ihnen die eigene Auseinandersetzung mit unserer Webseite und den vielen eindrucksvollen und gleichzeitig auch erschütternden Lebenswegen ans Herz legen.


Großer Dank gebührt Dr. Harro Jenss, unserem ehrenamtlichen Archivar, der über viele Jahre diese einzigartigen Dokumente zusammengetragen hat, aber auch den Angehörigen und Nachfahren in aller Welt, die uns bei der Recherche unterstützt haben“ schreibt die DGVS in ihrer aktuellen Mitteilung (3). Dabei versteht sich die Initiative „Gegen das Vergessen“ als ein offener digitaler Gedenkort, der durch einen gemeinsamen, kontinuierlichen Arbeitsprozess gestaltet wird und zu Kommentaren und Ergänzungen aufruft.


 


Insgesamt geht es auch darum, Strukturen und Bedingungen deutlich zu machen, die ein „1933“ ermöglicht haben und die lange Sprachlosigkeit „nach 1945“ zu verstehen versucht.



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Zum Interview mit Dr. Harro Jenss


 


(1)   Jenss H, Gerken G, Lerch MM, 100 Jahre Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), August Dreesbach Verlag, München 2013


(2)   Jenss H, Lerch MM. Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Die Präsidenten von 1914 bis 2014. Sardellus Verlagsgesellschaft, Greifswald 2014


(3)   dgvs.aktuell: Gegen das Vergessen – Lebendige Erinnerung an die jüdischen Mitglieder der DGVS (online vom 2.September 2021)


 


Dr. med. Dietrich Hüppe (Herne)



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